Messerschmitt Me 262 A-1a/U5

Hobby Boss No. 80373 - 1/48

Die Me 262 war das erste voll einsatzfähige strahlgetriebene Militärflugzeug der Geschichte. Zwar flog in Großbritannien die Gloster Meteor und in den USA die Bell Airacomet, jedoch vereinte keine dieser Maschinen den Strahlantrieb mit der aerodynamischen Finesse der Messerschmitt, die neben einem Laminarprofil auch gepfeilte Trag- und Leitwerksflächen aufwies, was ihr eine Spitzengeschwindigkeit von 869 Stundenkilometern, im Sturzflug sogar über 1000 Stundenkilometer ermöglichte.

Die Entwurfsarbeiten gehen auf das Jahr 1939 zurück, der Erstflug allein mit Strahlantrieb fand am 18.Juli 1942 statt, die weitere Entwicklung wurde jedoch durch die anhaltenden Schwierigkeiten mit den Junkers Jumo 004-Triebwerken gehemmt. Ab Juni 1944 erschien der neue Typ zunächst bei Erprobungsverbänden der Luftwaffe. Reguläre Einheiten waren nur wenige bis Kriegsende mit dem Strahljäger ausgerüstet, jedoch baute der ehemalige General der Jagdflieger Adolf Galland, nachdem er bei der Führung in Ungnade gefallen war, 1944 einen „Jagdverband 44“ mit einer bunten Mischung aus Jagdflieger-Assen, ehemaligen Kampffliegern und Ausbildern auf, der einige Achtungserfolge aufzuweisen hatte.

Die Bewaffnung bestand in der Jäger-Konfiguration aus vier im Bug eingebauten Rheinmetall-Borsig Mk 108 30 mm Kanonen. Schon wenige Treffer reichten aus, einen viermotorigen Bomber zu vernichten, aber die relativ geringe Mündungsgeschwindigkeit der Waffe erforderte eine kurze Distanz zum Ziel und führte in Kombination mit der hohen Geschwindigkeit der Waffenplattform zu Problemen. Daher begann man schon bald, die Me 262 mit ungelenkten Raketen vom Typ R4M auszurüsten. Diese Maschinen stellten somit die ersten Exemplare einer neuen Generation dar, der des strahlgetriebenen, raketenbewaffneten Abfangjägers!

Hobby Boss legt in seiner Me 262-Serie hier die V355 vor, die als Prototyp der Me 262 A1a /U5 Interzeptor I (Projektbaubeschreibung vom 10.08.43) gelten kann, und mit sechs statt vier Mk 108 im Bug ausgerüstet war. Nur ein Exemplar wurde mit dieser Bewaffnung ausgerüstet. Ob dieses zum Einsatz kam und mit welchem Erfolg weiß ich nicht. Leider gibt Hobby Boss auch keine historischen Hinweise zu dieser Maschine.

Der Bausatz kommt in einem stabilen Stülp-Karton mit attraktivem Deckelbild auf den Basteltisch, randvoll gefüllt mit 14 Spritzrahmen, die insgesamt 188 mittelgraue und 4 klare Teile beinhalten, verpackt in 10 einzelne Klarsichtbeutel. Besonders bruchgefährdete Teile und die Glasteile wurden zusätzlich gepolstert, um Transportschäden zu vermeiden - vorbildlich! Ein vermutlich bei Tamiya abgegucktes Feature ist das Metallgussteil für den Waffenschacht, das wohl dem Tailsitting vorbeugen soll. Mir kommt es recht zart vor, aber vielleicht reicht das Gewicht ja aus. Und zu viel Gewicht auf dem Bugrad ist ja bekanntlich bei der 262 im Modell wie im wahren Leben problematisch.

Alle Teile sind sauber und ohne Gussgrate, Sinkstellen und Auswerfermarkierungen am falschen Platz gespritzt. Die Oberflächendetails sind fein versenkt wiedergegeben. Die Glasteile sind dünn und klar, ohne optische Verzerrungen gegossen. Leider leidet der Kit unter der chinesischen Krankheit und ist mit zahllosen Nieten und Schrauben übersät, sogar am Kanzelrahmen findet man sie. Da die Nieten jedoch äußerst dezent sind, sollten sie durch die Lackierung ausreichend abgemildert werden. Wem das nicht genügt, der kann vor dem Farbauftrag eine Schicht Flüssigspachtel aufbringen.

Die Cockpitwanne und der Waffenschacht sind sehr gut detailliert, die Cockpitwanne, da vom Fahrwerksschacht aus sichtbar, auch von außen. Dasselbe gilt für den hinteren Rumpf, der innen strukturiert ist. Die hintere Wartungsklappe ist separat ausgeführt, das Funkgerät und der Mutterkompass sind ebenfalls nachgebildet. Das einzige, was fehlt wäre vielleicht eine Triebwerksnachbildung, aber dafür gibt es ja den Zubehörmarkt.

Die Bewaffnung besteht wie zu erwarten aus sechs MK 108, von denen vier an der üblichen Stelle Position und zwei in die Rumpfspitze einzubauen sind. Für letztere liegt eine Bugnase mit zwei Öffnungen bei. Ebenfalls vorhanden ist aber auch die obere Rumpfabdeckung mit nur zwei Öffnungen und vor allem eine geschlossene Bugkappe. Somit ist es möglich, eine „normale“ Me 262 A1a zu bauen indem man die geschlossene Nase aufsetzt und die zwei vorderen Waffen fortlässt.

Hobby Boss hat zwei Gussrahmen mit Teilen für vier Ruhrstahl X-4 Lenkraketen beigelegt. Diese wurden jedoch nach meinen Unterlagen nur probeweise an der W.Nr. 111994 montiert und gehören daher in die Restekiste.

Für das Fahrwerk liegen zwei verschiedene Bugradbeine und zwei Räder, eines ohne Profil und mit etwas breiterer Felge und ein schmaleres mit rechteckigem Profil bei. Die zwei Bugradbeine unterscheiden sich kaum voneinander, eines scheint jedoch eine Spur dicker zu sein und könnte zusammen mit dem etwas breiteren Rad für eine vielleicht geplante Bomberversion gedacht sein. Leider macht Hobby Boss keine Angaben dazu, welches Teil zu verwenden ist und auch der Teileplan hilft hier nicht weiter, weil die nicht zu verwendenden Teile leider nicht markiert sind.

Decals liegen naturgemäß nur für eine Maschine bei, für die W.Nr.112335, „V355“, deren Oberseiten in RLM 82/83, Rumpf und Unterseiten in RLM 76 bemalt werden sollen. Die Waffenschachte sind in Naturmetall, die restliche Rumpfnase in RLM 02 zu streichen.

Die Bemalungshinweise sind auf einem Hochglanz-Extrablatt in Farbe gedruckt, die Farbhinweise beziehen sich auf die Sortimente von Gunze, Vallejo, Model-Master, Tamiya und Humbrol.

Alles in allem, und wenn Passform und Maßhaltigkeit das einlösen, was der erste Eindruck verspricht, dürfte Hobby Boss das z.Z. beste Modell der Me 262 in 1:48 vorgelegt haben, insbesondere wenn man den Preis mit dem der Mitbewerber vergleicht (sorry, Tamiya!). Wer es schlicht liebt, kann den Kit zur Grundversion zurückbauen. Aber mit den bisher vorgelegten ausgefallenen Versionen und Versuchsmodellen seiner Me 262-Reihe bedient HB vor allem den Modellbauer, der etwas besonderes sucht, ohne gleich an Umbaut zu denken, und auch der Luft-46-Fan kommt hier zu seinem Recht.

Aufgrund der relativ hohen Teilezahl und zahlreicher kleiner Teile würde ich den Bausatz eher jemandem mit etwas Erfahrung empfehlen.

Literatur bzw. Quellen

   
Bauanleitung
    Radinger/Schick
Messerschmitt Me 262
Entwicklung, Erprobung und Fertigung...
Aviatic Verlag
    Erfurt
Messerschmitt Me 262
Vom Original zum Modell
Bernhard & Graefe Verlag
    Stapfer
Walk Around Nr. 42
Messerschmitt Me 262
Sqaudron-Signal Publications
    Griehl
German Jets of World War Two
Warbirds Illustrated No 52
    Forsyth
Jagdverband 44 - Squadron of Experten
Aviation Elite Units
Osprey Publishing
    Green/Oehler
Modelling the Messerschmitt Me 262
Osprey Modelling
Osprey Publishing

Utz Schißau, Berlin (Juli 2011)