Heinkel He 111

Lindberg - 1/64

Um es gleich vorweg zu sagen, dieser Bausatz ist etwas Außergewöhnliches, und dass in mehrerer Hinsicht. Deshalb auch gleich an dieser Stelle die Klarstellung, dass es sich bei diesem Kit noch immer um das ursprüngliche Plastikmodell dieses in früherer Zeit so bekannten US-Herstellers handelt, also keinesfalls um eine eventuell modernisierte Neuauflage, wie man vielleicht glauben möchte da das Traditionsunternehmen Lindberg ja vor einiger Zeit von einem neuen Eigentümer in Cedar Rapids wiedergegründet wurde.

Auf seiner ansprechend gestalteten Webseite bietet das Unternehmen viele aufgrund ihrer attraktiven Verpackung scheinbar neue Bausätze an, welche aber fast allesamt alten Original-Formen entstammen. Daher klärt sich die Frage nach dem tatsächlichen Maßstab dieser He 111 mehr oder minder von allein, denn es handelt sich in Wirklichkeit keinesfalls um den 1/72er Maßstab , sondern vielmehr um eine von den amerikanischen Formenbauern seinerzeit gewählte 64fache Verkleinerung! Noch genauer – nicht metrisch - um eine "3 zu 16 Zoll" Relation, was wohl nur diejenigen kontinentaleuropäischen Hobbyisten mit besonderer Vorstellungskraft etwas sagt. Eigentlich dürfte es sich um “Boxscale” handeln, da nicht alle Details einer Maßstabsüberprüfung standhalten würden. Aber dazu später mehr.

Fakt ist, dass die auf der stabilen wie angemessen großen Pappschachtel explizit aufgedruckte Maßstabangabe "1/72 " keineswegs den Tatsachen entspricht. Da man als Verbraucher in Sachen Flugzeugmodell-Plastik-Bausätze mitunter selbst in heutiger Zeit die eine oder andere marketingstrategische Fehlinformation gewohnt sein dürfte, warum also nun nicht auch noch einen wissentlich falsch angegebenen Maßstab hinnehmen? Zumindest dann wenn man wie in diesem Falle de fakto sogar noch ein mehr an Modell für sein Geld bekommen könnte. Womit wir gleich bei der zweiten großen Besonderheit dieses Exoten wären. Seinen stolzen Preis, der sich ungefähr auf Hasegawa-Niveau bewegt oder anders ausgedrückt im inländischen Versandhandel irgendwo um 30 Euro pendelt. Auf den ersten Blick recht viel, obwohl heutzutage vielleicht doch nicht so ungewöhnlich, insbesondere für einen so außergewöhnlichen Kit.

Aber nun zum eigentlichen Baukasten, der rein äußerlich letztlich nicht anders als grundsolide zu bezeichnen ist. Die als Deckelbild dienende Farbfotografie eines gebauten Models vermittelt bereits einen guten Eindruck davon, was man zu erwarten hat. Auch alle "Extras", wie bewegliche Ruderflächen und ein funktionsfähiges Einziehfahrwerk etc. werden auf der Schachtel aufgezählt. Neben einer hinreichend ausführlich und vom Format angemessen groß, wie auch übersichtlich gestalteten Anleitung befinden sich ein eher kompakter Abziehbilderbogen, extra im Polybeutel verpackte Klarsichtteile und zwei stattliche Spritzlinge innerhalb des Kartons.

Bei letzteren handelt es s alt=""ich allerdings nicht um herkömmliche Gussrahmen, sondern um aus mehreren miteinander verbundene Zweigen bestehenden Teilbereichen dieser. Dies ist zwar nicht die geschickteste Art und Weise den Inhalt vor Transportschäden zu schützen, bietet allerdings den Vorteil, weniger Plastikabfall zu verursachen. Die Anzahl der darauf aufgereihten Bauteile ist äußerst überschaubar, oder anders ausgedrückt, handelt es sich hier erwartungsgemäß um einen vollkommen konventionellen Bausatz. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gemäß Anleitung zur Fertigstellung nicht mehr als zehn Bau-Abschnitte notwendig sind, wovon sich die letzten Fünf (in spiegelbildlicher Weise) lediglich auf den Zusammenbau der gegenüberliegenden Tragflächen beziehen.

Als einzige Abweichung ist die Konstruktion des Höhenleitwerks hervorzuheben, dass nach dem Verkleben einer unteren und oberen Hälfte beide Höhenruder zu einem einzigen Bauteil vereint, welches später einfach in die an der betreffenden Stelle am Heck der geschlitzten Rumpfhälften fixiert wird. Aufgrund der exzellenten Passgenauigkeit führt diese rationelle Lösung zum gleichen Ziel wie die übliche Art und Weise d.h. beide Flächen des typischen, und nebenbei, auch für den Beinamen "Spaten" der He 111 verantwortlichen, Heinkel-Höhenleitwerks aus zwei Hälften montieren zu müssen. Womit man also beim Lindberg-Modell in diesem Punkt eine Menge Aufwand bzw. Zeit einspart.

Die andere wohl weit wichtigere konstruktive Problemlösung wurde dem einziehbaren Hauptfahrwerk gewidmet. Wobei man aber bei dem Ergebnis sicher geteilter Meinung sein darf. Weil dieses für viele heute antiquierte oder gar ungewollte Feature mit einem gänzlich unnaturgetreu ausschauendem Konstrukt erkauft wird. immerhin kann derjenige der sein fertiges Modell vielleicht mithilfe eines kleinen Dioramas zur Geltung bringen will, später einfach die Räder unter den Klappen verschwinden lassen und eventuell Aufnahmen einer sich im Fluge befindlichen Maschine machen oder all die weitere Möglichkeiten nutzen , die ein einziehbares Fahrwerk bieten kann. Der wohl seinerzeit aber ursprünglich zugrunde liegende Gedanke eines größeren Spielwerts mag heute keinerlei Berechtigung mehr haben.

Andererseits könnte ich mir persönlich eigentlich gut vorstellen, gerade diesen Bausatz einem zehnjährigen Schüler anzuvertrauen. Insbesondere wenn er dieses in vieler Hinsicht als kindgerecht einzustufende Modell, unter väterlicher Aufsicht zusammenbauen kann. Bei dieser Zielgruppe könnten bewegliche Ruder und einziehbare Fahrwerksräder vielleicht noch Anklang finden. Womit aber noch längst nicht alle Extras aufgeführt worden sind, da dieser Baukasten auch noch eine höchst akkurate Motorennachbildung besitzt und in einigen ältern Ausgaben sogar die Figur eines "Technikers" mitgeliefert wurde der dann das (beim Spielen) vielleicht auszutauschende Triebwerk auf einem Handkarren hinter sich her ziehen mag.

Ansonsten gibt es zu diesem erstaunlich groß anmutendem Heinkel-Bomber nicht viel zu sagen, da dieser betagte Raised-Panel-Kit erwartungsgemäß neben den obligatorischen erhaben und reichhaltigen Nietenreihen auch noch Klarsichtteile besitzt, die für heutige Begriffe übertrieben stark ausgeformt wurden. Wenigsten ist bei diesen Teilen zumindest die Gussqualität als recht hochwertig zu klassifizieren. Es herscht also "klare Sicht", wenn sich auch ein leichter Glasbaustein-Effekt zeigt. Als eine weitere Auffälligkeit sind noch zwei Passstifte zur besseren Montage der Kabinenverglasung zu erwähnen, die nach dem Zusammenkleben der beiden Kanzelhälften aber als störend empfunden werden, weil sie von außen gut zu sehen sind. Dass das Gittermuster an Verstrebungen und Einfassungen bzw. Fensterrahmen und einer mittig ausgerichteten Ikaria-Kuppel innerhalb der Vollsichtkanzel nicht stimmig ist, überrascht wenig. Wenige wird trösten, dass diese erhabenen Strukturen später beim Abkleben vor der Bemalung weniger Probleme bereitet.

Das Fazit fällt trotz aller Widrigkeiten eher positiv aus, da schließlich doch die guten Merkmale überwiegen. Natürlich kann man ein außerhalb der hier ansonsten besprochenen Modelle liegendes Produkt nicht mit dem gleichen Maß wie andere Plastikbausätze bewerten. Der exklusive Anschaffungspreis, der abweichende, ungewohnt groß wirkende Maßstab, die eingeschränkte Verfügbarkeit und all die anderen angeführten Eigenheiten machen diese He 111 unweigerlich zu einem Sammlerstück, das man wahrscheinlich entweder unbedingt, d.h dann auch um jeden Preis, besitzen möchte oder das einen absolut kalt lässt. Eine wie auch immer geartete Differenzierung kann es bei so einem seltenen und einzigartigen Kit, meiner Meinung nach, einfach nicht geben.

Für alle potentiellen Käufer möchte ich aber trotzdem abschließend noch die auch hier ziemlich lang geratene Mängel-Übersicht auflisten.

Ein Wort noch zur Baureihenkonformität. Wohlweislich, beziehungsweise schon allein aus Marketing-Gründen, hat man hier auf eine Konkretisierung der vorliegenden Version besser ganz verzichtet. Somit sind dann dementsprechende Details oder besser gesagt ausgebildete Unterscheidungsmerkmale auch von vornherein nicht zu erwarten. Weshalb man bestenfalls nur von einer sehr frühen P oder auch H-Variante ausgehen kann. Da es von Lindberg einerseits nur drei Browning-Mgs (sic!) als Abwehrbewaffnung gibt. Während es andererseits ferner aber an jeder Motorgondel vorne aber wiederum sogar gleich zwei Luft- Ansaughutzen für links und rechts gibt (sic!).

Allerdings sind die Motorengondeln und teilweise auch das eine Triebwerk außergewöhnlich naturgetreu nachgebildet und es gibt sogar Brandschotts und (leider nur etwas zu unnaturgetreue) Filtereinsätze für die Ölkühlergehäuse. Womit dieser Bausatz also auch durchaus einige positive Seiten hat! Zumal es auch angesichts des Alters der Gussform recht wenige Auswerfer-Pins oder Sinking Marks gibt. Am besten ließe sich er in der Schlussbetrachtung mit dem ebenfalls alten Airfix-Modell vergleichen von dem man sich womöglich wahrscheinlich in den USA vor 50 Jahren etwas inspirieren ließ.

N. (Februar 2011)